Wie groß ist der Einfluss von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen auf Medien und Journalisten? Eine Enthüllung von Mediapart lässt nichts Gutes vermuten.
Gekaufter Journalismus?
Der NDR hat auf Druck des Recherchenetzwerks OCCRP einen Enthüllungsbeitrag über selbiges unterbunden. Das Investigativportal Mediapart brachte es ans Licht.
„Die investigativen Journalisten John Goetz und Armin Ghassim haben in einer Dokumentation enthüllt, dass die US-Regierung der Hauptfinanzier der Journalisten-Organisation OCCRP ist“, berichtet die Berliner Zeitung am 17. Dezember 2024. OCCRP ist die Abkürzung für „Organized Crime and Corruption Report Project“. Übersetzt lautet die Bezeichnung „Berichtsprojekt über organisierte Kriminalität und Korruption“.
Pikant: Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Die Zeit und der NDR haben die Rechercheplattform benutzt. Der „Berliner Zeitung“ sind diese Erkenntnisse eine Titelgeschichte auf ihrer Website wert. Bereits am 3. Dezember warf die „Berliner Zeitung“ erstmals die Frage auf, ob die USA Journalisten beeinflusst haben. Am Tag darauf, den 4. Dezember dieses Jahres, folgte „Tichy‘s Einblick“ und überschrieb seinen Bericht mit der Feststellung, dass das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und SZ, also die Süddeutsche Zeitung, ein von der US-Regierung finanziertes Rechercheportal nutzen. Und stellte die drängende Frage, „wie unabhängig diese ‚renommierten‘ Medien sind, die sich gerne als ‚vierte‘ Gewalt gerieren.“
Florian Warweg, der durch hartnäckige Frage in der Bundespressekonferenz sich wohltuend aus der Mainstream-Journalistenmasse abhebt, schreibt auf NachDenkSeiten, dass eine vom NDR selbst initiierte brisante Recherche „ein bezeichnendes Licht auf interne Vorgänge und Selbstzensur im öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Norddeutscher Rundfunk“, werfe. „Statt die Ergebnisse zu veröffentlichen, wurde das Rechercheprojekt unter fragwürdigen Umständen und Begründungen von der NDR-Redaktionsleitung nach Intervention von US-Seite gestoppt.“
Bezahlschranken gegen maximale Transparenz?
Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte am 6. Dezember einen Artikel mit der Überschrift „Liebesgrüße aus Washington“. Die Alliteration der Überschrift an den Titel eines James-Bond-Films ist wohl kaum zufällig gewählt. Versprochen wird „die Geschichte einer Geschichte über Enthüllungsjournalismus“ – natürlich hinter der Bezahlschranke. Ebenfalls hinter einer Bezahlmauer kann ein Artikel der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), veröffentlicht am 5. Dezember mit dem Titel „Französische Journalisten werfen NDR ‚Zensur‘ vor“, kostenpflichtig gelesen werden. Auch die linke Tageszeitung „taz“ stellt am 12. Dezember fest, dass einer Recherche zufolge die US-Regierung Einfluss auf die größte Investigativplattform ausübt. „Die Enthüllungen über das Netzwerk gehen ursprünglich auf eine Recherche von NDR-Journalisten zurück – obgleich der Sender in der Vergangenheit selbst mit dem OCCRP kooperierte. Die Journalisten hatten 2023 Interviews mit Sullivan (Drew Sullivan, Mitbegründer des OCCRP; Anm. des Autors) und Mitarbeitern der US-Entwicklungsbehörde USAID geführt, die freimütig über die Finanzierung des OCCRP sprachen.“
Das ebenfalls von der Enthüllungsrecherche betroffene Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ entschied sich, die Abteilung „Attacke“ ins Feld zu schicken. Am 15. Dezember, also reichlich spät, erschien ein Artikel, der einen der Autoren der NDR-Enthüllungsrecherche, John Goetz, was für ein Zufall, in der Titelunterzeile mit den Worten „Doch dann sagt man über ihn, er sei russischer Spion“, geschickt in linke Licht rückt. Angriff scheint also die einzige Verteidigung zu sein. Dieser Artikel ist ebenfalls nur hinter der Bezahlschranke lesbar. Echte Transparenz sieht anders aus. Das Nachrichtenmagazin aus Hamburg fiel bereits in der Vergangenheit mit fragwürdigem Finanzgebaren auf. Seit dem Jahr 2019 ließ es sich von der Bill & Melinda Gates Stiftung 5,4 Millionen US-Dollar zuschustern. Die Zusammenarbeit ist nunmehr beendet, da die Ziele erreicht wurden („Globale Gesellschaft“ sei als Thema etabliert) heißt es in einem Apollo News Artikel vom 24.10.2024. Einen Interessenkonflikt hinsichtlich eines möglichen Einflusses auf die journalistische Unabhängigkeit sah das „Sturmgeschütz der Demokratie“, wie der „Spiegel“ einst betitelt wurde, offenbar nicht.
Fragen bleiben dennoch offen: Wie sind die Entscheidungen der am OCCRP-Recherchenetzwerk beteiligten Medien NDR, SZ, Spiegel und Zeit zu deuten, teilweise ihre eigene Berichterstattung zur Finanzierung und Steuerung des OCCRP-Netzwerks durch die US-Regierung hinter Bezahlschranken indirekt zu verstecken? Anstatt Transparenz und Aufarbeitung durch kostenlosen Artikelzugang zu ermöglichen, wird scheinbar alles getan, dass so wenig Informationen wie möglich in die Öffentlichkeit gelangen. Immerhin bemühen sich alternative Medien und freie Journalisten, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und ohne Millionen-Budgets auskommen müssen, darum, dass die Verflechtung besagter Medien mit dem OCCRP ans Tageslicht kommen.
Süddeutsche Zeitung über US-Finanzierung von OCCRP informiert
Tichy’s Einblick beruft sich auf das französische Online-Portal Mediapart: „Das internationale, angeblich unabhängige, 2008 von Drew Sullivan (*1964) gegründete Recherche-Netzwerk „Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP)“ wird zu erheblichen Teilen von der US-Administration finanziert. Ergänzt wurden die Zuschüsse unter anderem um 1,1 Millionen Dollar aus der EU, 7 Millionen aus Großbritannien, 4 Millionen aus Schweden sowie Resten aus Dänemark, der Schweiz, der Slowakei und Frankreich (dessen Außenministerium letztes Jahr 100.000 Dollar gespendet hat)“. Dem Online-Portal Mediapart zufolge stellten diese Regierungen 70 Prozent des Jahresbudgets der OCCRP im Zeitraum von 2014 bis 2023 bereit, wovon allein auf die USA 52 Prozent entfielen. Die US-Regierung hat die vom OCCRP erstellten Berichte im Rahmen eines Projekts namens Global Anti-Corruption Consortium (GACC) damit „zu eigenen Waffen“ gemacht („weaponized the reports produced by the OCCRP“), schreibt Mediapart.
Wie kann es sein, dass die deutschen Medien nicht gewusst haben wollen, wer diese Rechercheplattform mitfinanziert? Oder hat es sie nicht interessiert? Die Veröffentlichungen von Artikeln hinter Bezahlschranken durch die am Netzwerk teilnehmenden deutschen Medien (Süddeutsche Zeitung, Spiegel, Zeit) sind jedenfalls Hinweis genug, dass das öffentlich Werden der Mediapart-Recherche unangenehm ist.
Die Nichtveröffentlichung der NDR-Recherche spricht ebenfalls Bände und sagt mehr über die NDR-Verantwortlichen aus, als dem öffentlich-rechtlichen Sender lieb sein kann. Florian Warweg führt in seinem Beitrag aus, dass „die vom NDR zensierte Recherche“ aufzeige, „dass die US-Regierung die Berichterstattung der „Investigativ-NGO“ bewusst steuert, indem sie ihre Mittelvergabe konditioniert. Zum einen verpflichtet Washington die OCCRP dazu, ihre Recherchen auf spezielle Länder zu fokussieren – konkret wurden in dem Zusammenhang „Russland, Venezuela, Malta und Zypern“ genannt. Zum anderen wurden die USA, egal ob US-Konzerne oder Einzelpersonen, als Recherchefeld zum Tabu erklärt.“ Warweg fasst die Recherche bis in die Details zusammen und wird hinsichtlich der Arbeits- und Rechercheverbote, die dem Netzwerk von ihrem maßgeblichen Geldgeber auferlegt wurde, deutlich: „Kritischen Beobachtern war schon vor Jahren aufgefallen, dass die Datenlecks und Recherchen von OCCRP fast nie Informationen zu US-Amerikanern enthielten, sondern immer Staaten und deren Eliten im Fokus hatten, die die USA als Gegner einstufen, wie Russland, China oder Venezuela“, analysiert Florian Warweg weiter.
OCCRP-Chef Sullivan Druck aus, um NDR-Veröffentlichung zu unterbinden
Taucht man tiefer in den Skandal ein, dann geht es nicht nur um die Finanzierung mit fragwürdigen Interessen, sondern auch um Einflussnahme hinsichtlich der personellen Besetzungen. Nachdem die Einschläge bei OCCRP immer nähergekommen waren, übte Sullivan, so Warweg, Druck auf die NDR-Geschäftsführung aus.
Die taz berichtet dazu: „Der OCCRP-Vorsitzende Sullivan versuchte laut Mediapart, die Glaubwürdigkeit eines beteiligten NDR-Investigativjournalisten zu diskreditieren und Druck auf die Führung auszuüben. Mediapart spricht von Zensur – ein Vorwurf, den der NDR zurückweist.“ Sullivan, so schreibt es Florian Warweg in seinem Artikel, behauptete in E-Mails an die OCCRP-Mitarbeiter übrigens, dass einer der Autoren der NDR-Recherche, John Goetz, von den deutschen Geheimdiensten als „russischer Agent“ bezeichnet worden sei. Belege dafür legte er nicht vor. Der Spiegel übernimmt diese Aussage geschickt im Untertitel seines eigenen Beitrags. Dies suggeriert, dass die NDR-Recherche über OCCRP und die daran beteiligten deutschen Medien, also auch Der Spiegel, tendenziös sein könnte, da einer der NDR-Redakteure angeblich ein russischer Spion sein könnte. Derweil hat sich „die NDR-Führung laut Mediapart entschieden, die eigene Kooperation mit dem OCCRP auf Eis zu legen, nachdem sie die Interviews mit USAID-Beamten und Sullivan gesehen hatte.“
Der Spiegel teilte mit, für künftige Kooperationen sei es entscheidend, „dass die Rechercheergebnisse eines Partners unserer journalistischen, dokumentarischen und rechtlichen Prüfung standhalten. Die Süddeutsche Zeitung teilte auf taz-Anfrage mit, sie habe über die Finanzierung Bescheid gewusst, sei aber gerade in keine gemeinsamen Projekte involviert.“
Wenn man bedenkt, dass die Süddeutsche Zeitung die Lizenz zum Erscheinen wenige Monate nach dem Ende des 2. Weltkrieges von den US-amerikanischen Besatzern erhalten hat, dann ist die Aussage nachvollziehbar. Ob der Herausgeber der Süddeutschen Zeitung, „der ersten von jeder Zensur freien deutschen Zeitung in Bayern“ Alfred Schwingenstein nach dem Ende des 2. Weltkrieges, die knappe und wenig erhellende Stellungnahme seiner Zeitung zum OCCRP-Skandal gebilligt hätte?
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Von : Stephan